850 Jahre St. Cyriakus
Fortsetzung unserer Geschichte Teil 3
Der mühsame Weg zum großen Ziel
Karl Englert, der als Kaplan 1840 nach St. Cyriakus gekommen war und ab 1847 der Pastor dieser Pfarre wurde, setzte seine ganze Kraft dafür ein, dass eine neue und größere Kirche in Bottrop gebaut werden konnte. Nachdem er die Gemeinde und alle Gremien von der Notwendigkeit überzeugt hatte, ging es zunächst mal wieder um die Finanzierung des geplanten Neubaus der Cyriakus-Kirche. Pfarrer Englert und eine Kommission aus der Gemeinde gründeten dazu einen Baufonds, für den ab 1850/51 monatliche Beträge eingesammelt werden sollten. Doch mitten in der Sammelphase wollte der Bischof den Pfarrer von St. Cyriakus nach Duisburg versetzen. Heftig wehrte sich die Gemeinde dagegen und konnte so ihren Pfarrer halten.
In der Zeit von 1850-1855 waren 10.900 Taler an Spenden zusammengekommen. Erforderlich waren aber 35.000 Taler. Eine solch hohe Summe konnte die Kirchengemeinde aber auf keinen Fall aufbringen. Durch große Spenden und mit Hilfe des neuen Bistums enthielt dieser Fonds im Jahre 1858 dann 21.000 Taler. Jetzt waren ungefähr zwei Drittel des notwendigen Baukapitals vorhanden. Daher beauftragten der Pfarrer und der Kirchenvorstand den Architekten E. von Manger aus Oelde mit der Planung einer neuen Kirche. Sein Entwurf sah eine dreischiffige neugotische Hallenkirche vor. Sie sollte 43 m lang und 22 m breit werden. für den Dachfirst war eine Höhe von 25 m geplant, der Kirchturm sollte eine Höhe von 57 m erhalten.
Mangers Kostenvoranschlag belief sich auf 42.000 Taler (=500.000 DM). Diesem Bauplan stimmte 1860 das unter der Leitung von Pfarrer Englert stehende „Baukomitee" voll zu und beauftragte nun den Architekten mit der Ausführung des Kirchen-Neubaus. Dessen Baubeginn war noch für das gleiche Jahr vorgesehen. Da tauchte die nächste Schwierigkeit auf, es war die Frage nach dem Bauplatz für die neue Kirche. Sollte sie an der gleichen Stelle oder auf einem neuen Platz errichtet werden? Darüber zerstritten sich die Gemeindemitglieder dermaßen, dass Pfarrer Englert dieses Problem seinem Bischof zur Entscheidung vorlegte. Auch nachdem der Bischof als Bauplatz den Standort der alten Cyriakus-Kirche festgelegt hatte, was auch den Wünschen Englerts entsprach, beruhigten sich die Gemüter immer noch nicht.
Fast die Hälfte der Gemeinde weigerte sich. weiter Beiträge für den Kirchenfonds zu zahlen. Dieser heftige Streit verzögerte den Baubeginn um fast ein ganzes Jahr. Pfarrer Fnglert ärgerte sich über die nicht zu überbrückende Uneinigkeit und war durch die finanziellen Sorgen so belastet, dass er diesmal auf eigenen Wunsch die Cyriakus-Gemeinde verlassen wollte. Er war sogar schon zum Pfarrer in Mettingen (bei Rheine) ernannt worden. Als dieser Entschluss des von der Gemeinde doch sehr geschätzten Pfarrers bekannt wurde, machte man wieder eine Eingabe beim Bischof und bat ihn wenigstens um einen Aufschub. Gleichzeitig erklärte sich die Gemeinde mit der Entscheidung des Bischofs hinsichtlich des Bauplatzes einverstanden, und auch die Spenden wurden jetzt wieder regelmäßig aufgebracht. Daraulhin erklärte sich Pfarrer Englert schließlich bereit, doch in Bottrop zu bleiben, die bischöfliche Versetzung wurde zur Erleichterung der ganzen Gemeinde rückgängig gemacht.
Jetzt konnte es endlich an die konkrete Ausführung des Neubaus gehen. Im Jahre 1860 wurde auf dem Schulhof an der Hansastraße eine Notkirche errichtet. Nach der Einsegnung durch den Pfarrer geleitete an einem Sonntag eine große Prozession das Allerheiligste in dieses Notgebäude. Der Gemeinde war wohl bewusst, dass eine lange Ära der alten C'yriakus-Kirche jetzt zu Ende ging. Im Winter dieses erfolgte der Abbruch der über 700 Jahre alten Kirche.
Gleichzeitig wurde das Baumaterial für den Neubau herantransportiert. die Bauarbeiten begannen im folgenden Frühjahr. Am 18. April 1861 nahm der damalige Bischof von Münster Johann Georg Müller die Grundsteinlegung der neuen Kirche vor. Die gesamten Arbeiten gingen weiter zügig voran, aber es gab auch manche Schwierigkeiten. Die Qualität der Ziegelsteine war z.T. so schlecht, dass mitten im Bau die Ziegelei gewechselt werden musste. Auch das gelieferte Bauholz entsprach nicht immer den Ansprüchen. Ja es wurde sogar noch der Bauentwurf geändert, statt eines einteiligen Daches wurde nun ein dreiteiliges Dach- den drei Kirchenschiffen entsprechend- auf den Neubau gesetzt.
Mitte November 1862 war der Neubau fertig. Die Inneneinrichtung der Kirche war mehr als bescheiden, man musste sich mit Stücken aus der alten Kirche bzw. aus der Notkirche behelfen. Die Einweihung der neuen Cyriakus-Kirche erfolgte dann am 25. November 1862 durch den oben erwähnten Bischof von Münster. Dass die Gemeinde für die innere Ausgestaltung der Kirche kein Geld mehr hatte. stellte sich im Nachhinein als wahrer Glücksfall heraus. Bereits im März des Jahres 1862 legte der Pfarrer einen Entwurf für einen Altaraufbau, wie er damals üblich war, dem Kirchenvorstand vor. Die Kosten dafür sollten sich auf etwa 800 Taler belaufen. Doch man zögerte mit der endgültigen Zusage wegen der schon erwähnten finanziellen Notlage. Da bot im Sommer des Jahres 1863 der Diözesankonservator der Gemeinde einen alten Schnitzaltar für nur 415 Taler einschließlich Transport an.
Der Kirchenvorstand war sich mit Pfarrer Engert schnell über den Ankauf des Altars einig. Er wurde dann im Chorraum der neuerbauten Cvriakus-Kirche aufgestellt, wo er bis 1925 seinen Platz hatte. Danach hingen die drei Tafeln dieses Altares über den beiden Seitenausgängen der Kirche (das Mittelstück über dem einen und die beiden kleineren Seitenflügel über dem anderen). Jahrelang fanden die verstaubten Tafeln dieses Altares kaum Beachtung durch die Kirchenbesucher. Erst 1966/67 - also nach 100 Jahren - stellte sich darin bei der Restaurierung heraus, welche Kostbarkeit man damals erworben hatte. In monatelanger Kleinarbeit hatte der Restaurator Herr Jetter aus Vreden - im Auftrage von Propst Josef Keul den Altaraufsatz wieder in seinen alten Zustand versetzt. Er war eine wertvolle Schnitzarbeit, die um 1490, vermutlich in einer Werkstatt bei Braunschweig, geschaffen wurde.
Heute steht diese spätgotische Altarretabel als wahres Schmuckstück wieder im Chorraum unserer Kirche. Nun noch mal zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Pfarrer Englert sorgte nicht nur intensiv für die neue Cyriakus-Kirche, er konnte 1868 das erste Krankenhaus in Bottrop einweihen. Es stand an der Osterfelder Straße (neben der heutigen Martinskirche zum Altmarkt hin). hatte am Anfang 20 Betten, einen Arzt, Dr. Joh. Jansen, und vier Ordensschwestern aus St. Mauritz in Münster.
1864 und 1867 stellte der Bildhauer Ewerts aus Münster je einen Seitenaltar in der Kirche auf. Er schuf auch die 14 Stationsbilder des Kreuzweges in unserer Kirche und zwar 1872. Inzwischen hatte man auch neue Kirchenbänke angeschafft. Und 1882 wurde das Innere der Kirche vom Dekorationsmaler Brinkmann aus Münster farbig ausgemalt. In den neuen Kirchturm kamen die beiden größeren Glocken aus der alten Kirche, eine davon war die alte Cyriakus-Glocke von 1425. Außerdem wurde eine neue, kleinere Gussstahlglocke vom Bochumer-Verein als Wandlungsglocke angeschafft.
Diese Glocken läuteten von einem für das Dorf Bottrop riesigen „Monumentalbau" zum Gottesdienst und zu anderen Anlässen, z.B. auch beim Tode des Pfarrers von St. Cyriakus des Landdechanten und Ehrendomherrn Karl Englert am 21.02.1887.
Mit 70.000 Einwohnern war Bottrop ein ganz ungewöhnliches Dorf
Als im Jahre 1862 unsere heutige Cyriakuskirche eingeweiht wurde, lebten in Bottrop rund 4.000 Menschen. Ein Jahr später (1863) nahm die erste Bottroper Zeche Prosper I ihre Kohleförderung auf. Und es blieb nicht bei dieser einen Schachtanlage, ihr folgten 1871 Prosper II, 1896 Rheinbaben, 1905 Prosper III, 1909 Arenberg-Fortsetzung, 1913 Vereinigte Welheim und 1919 Haniel. Für die Abteufungsarbeiten, die in der Regel drei bis vier Jahre dauerten, und für die dann einsetzende Kohleförderung benötigte man zahlreiche Arbeitskräfte. Zum größten Teil kamen sie zunächst aus dem Dorfselbst bzw. aus der näheren Umgebung. Bauernsöhne, die zu Hause den Hof ihrem älteren Bruder überlassen mussten. arbeiteten jetzt auf der Zeche. Als Erbteil erhielten sie ein Stück Land, auf dem sie ein kleines Haus mit nur einem Stockwerk, aber mit Ställen für Kleinvieh errichteten.
Jeder baute dort, wo er zufällig sein Grundstück liegen hatte. Sie richteten sich nicht nach den Schachtanlagen, sondern die „Bergleute" nahmen lieber lange Anmarschwege in Kauf. In jeder Bauernschaft entstanden solche Arbeiterstreusiedlungen. Der Bergbau drängte im Laufe der Entwicklung die Landwirtschaft in Bottrop stark zurück. Zwischen den Bauern und den Bergbaugesellschaften wurden die Grundstücksfragen meistens schnell geregelt, denn es wurden hohe Preise dafür gezahlt. Teilweise stellten deshalb Bauern ihr Land freiwillig zur Verfügung. Doch für die Erschließung der Kohlenvorräte reichte die einheimische Bevölkerung bald nicht mehr aus. Wie von einem Magneten wurden die Menschen aus dem Münsterland, vom Niederrhein, aus Hessen, Thüringen, Sachsen, Schlesien, West- und Ostpreußen und Polen angezogen. Im Bergbau erhielten sie Arbeit und Brot. Und so stiegen die Einwohnerzahlen ständig an. Im Jahre 1919 lebten rund 72.000 Menschen im Dorf Bottrop, d.h. die Bevölkerungszahl war von 1862 bis 1919 auf das Achtzehnfache angestiegen.
Daraus ergaben sich eine Reihe von gravierenden Problemen. Mit dem starken Anwachsen der Bevölkerung setzte eine enorme Bautätigkeit ein. Seit etwa 1880 errichteten die verschiedenen Zechengesellschaften Werkswohnungen für die Hinzugezogenen.
In den einzelnen Bauernschatten, meistens in enger Anlehnung an die Schachtanlagen, wuchsen die Häuser schnell empor. Sie legten sich wie ein Spinnennetz um die einzelnen Zechen. Sie wurden also der Mittelpunkt der Bergarbeitersiedlungen, nicht der damalige Dorfkern. So kam es, dass es zwischen dem Dorfmittelpunkt und den einzelnen Zechensiedlungen noch große landwirtschaftlich genutzte Flächen gab. Die früheren Bauernschaften vergrößerten sich zu Stadtteilen. lm Dorfkern rund um die Cyriakuskirche ließen sich Geschäftsleute nieder. denn die bereits vorhandenen Geschäfte reichten jetzt nicht mehr für die Versorgung der Bevölkerung aus. Längs der Dorfstraßen (Hansa- Hochstrasse usw.) fand sich ein Kaufmann neben dem anderen. Der Dorfkern zeigte nach und nach eine geschlossene Bebauung.
In dieses ungewöhnliche Dorf Bottrop kam als Nachfolger des verstorbenen Pfarrers Karl Englert im Juni des Jahres 1887 der neu ernannte Pfarrer Julius Müller. Er war 1838 in Nottuln geboren. 1863 erhielt er im Dom zu Münster die Priesterweihe und war von 1867 bis 1887 Kreisvikar in Ibbenbüren. Auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen erkannte er sogleich, vor welche großen Aufgaben er hier gestellt war.
Zuerst stand der Neubau eines Krankenhauses an. Das vorhandene Krankenhaus an der Osterfelder Straße war viel zu klein geworden, und eine Erweiterung war nicht mehr möglich. Es wurde an die Gemeinde Bottrop verkauft mit der Auflage, dass es als „Katholische Anstalt und Kinderbewahranstalt" (=Waisenhaus) weitergeführt werden sollte. Mit dem Geld kaufte die Kirchengemeinde ein Grundstück am Kreuzkamp. Nach zweijähriger Bauzeit erfolgte 1898 die Einweihung dieses Marienhospitals. Es hatte 80 Krankenbetten und bot den Patienten auf Grund der Tatsache, dass es außerhalb des Dorfes lag, wesentlich mehr Ruhe.
Doch schon nach fünf Jahren gab es immer wieder Erweiterungen und Ausbauten, schließlich hatte das Marienhospital 300 Betten und platzte trotzdem aus allen Nähten.
Das "alte" Marienhospital |
Die nächste Aufgabe betraf die Planung von neuen Kirchen. Wegen der anfangs dargestellten besonderen Situation im Dorf kamen für Pfarrer Müller als Lösung dieses Problems nur Neubauten in den Außenbezirken von Bottrop in Frage. Er ging dabei an folgender Grundüberlegung aus, Kirchen sollten da gebaut werden, wo die Menschen wohnen und arbeiten. Während dieser Planungsphase schaffte er für die Cyriakuskirche neue Chorfenster an und ließ 1890 eine neue Orgel und eine neue Orgelbühne bauen. Außerdem sorgte er für neue Glocken, so dass nun vier Glocken im Turm hingen:
St. Agatha aus dem Jahre 1896, St. Cyriakus (1425, St. Immakulata (1896) und St. Aloysius (1897). Außerdem befand sich im Dachreiter eine Wandlungsglocke, die 1863 umgegossen worden war. Pfarrer Müllers Hauptsorge galt aber der Bewältigung der pastoralen Aufgaben. Für die schnell anwachsende Bevölkerung, die zu 96 % katholisch war, ließ er fünf neue Kirchen bauen und zwar St. Johannes in der Boy (1898), die Herz-Jesu-Kirche (1902), Liebfrauen (1905), St. Ludgerus (1917) und St. Joseph (1919). Dafür waren natürlich gewaltige Anstrengungen notwendig, die durch den ersten Weltkrieg (1914-1918) noch vergrößert wurden.
Der dritte Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag im Bereich des Schulwesens. Bei seiner Ernennung zum Pfarrer von St. Cyriakus wurden alle Schulen seiner Aufsicht unterstellt: eine im Dorf mit 12 Klassen. eine auf dem Eigen und eine in der Boy mit je 2 Klassen. 1919 gab es in Bottrop 27 Volksschulen mit 289 Klassen, in denen 16300 Kinder von 290 Lehrer/innen unterrichtet wurden. Hinzu kamen noch das Gymnasium und eine ,.höhere Töchterschule".
Im Mai des Jahres 1913 feierte Pfarrer Julius Müller, der inzwischen zum Prälaten ernannt worden war, sein goldenes Priester- und gleichzeitig sein silbernes Pfarrjubiläum in St. Cyriakus.
Dazu gab es am Vorabend einen riesigen Fackelzug, an dem 30 Vereine mit über 4.000 Mitgliedern und 7 Musikkapellen teilnahmen. Am Sonntag wurde der Jubilar gegen 9.00 Uhr vom Pfarrhaus (Pastorat) zur Kirche geleitet. Die Pfarrstraße war in eine "via triumphalis" verwandelt worden. In der Kirche schwebte eine große Krone im Chor, Hunderte von Fahnen waren zu sehen. Lorbeerbäume und unzählige Blumen schmückten die Kirche.
Am Abend gab es eine große Festversammlung, an der die ganze Gemeinde teilnahm. Drei Jahre später erlitt Prälat Müller einen schweren Schlaganfall. so dass die Pfarrverwaltung auf den Vikar Joseph Wenner übertragen werden musste.
1921 gab Prälat Müller nach 34jähriger Tätigkeit an St. Cyriakus sein Amt auf. Ein Jahr später, am 21. Januar 1922, starb er nach langem, schweren Leiden im Alter von 84 Jahren in seinem Marienhospital und wurde unter sehr großer Anteilnahme der Gemeinde auf dem Alten Friedhof (Priesterhügel) begraben. Nicht erst bei seinem Tode waren sich alle darüber einig: Prälat Müller war der rechte Mann. zur rechten Zeit, am rechten Ort.