Unser Nikolaus Groß?!

Rede von Wolfgang Heinberg, Diözesanbildungsreferent
bei der gemeinsamen Veranstaltung von KAB und ACLI
am 08.10.01 in Rom anlässlich
der Seligsprechung von Nikolaus Groß

Papst Johannes Paul II. hat am 07.Oktober 2001 Nikolaus Groß selig gesprochen. Selig gesprochen heißt: Nikolaus Groß kann und soll uns als Vorbild christlichen Lebens dienen. Denn: Die Seligsprechung stellt einen Menschen als Beispiel christlicher Lebensgestaltung und Lebenshaltung für die Kirche eines Landes oder eines Bistums oder auch einer bestimmten Gemeinschaft heraus.

Wer war dieser Nikolaus Groß? Wer war dieser Glaubenszeuge aus dem Ruhrgebiet?

Die biographischen Daten des Nikolaus Groß sind schnell aufgezählt:
- geboren am 30. September 1898 in Niederwenigern
- gestorben am 23. Januar 1945 in Berlin – Plötzensee
- Bergmann, christlicher Gewerkschafter, Journalist und Familienvater.

Nikolaus Groß führte ein bewegtes und bewegendes Leben. Ein Leben, das das Normalmaß durchbrach. Ein Leben das vielleicht das Leben eines ganzen Volkes in seinen Höhen und Tiefen widerspiegelt. Ein Leben „auf Leben und Tod“ gelebt. Ein konsequentes Leben: „Wenn wir heute nicht unser Leben einsetzen, wie wollen wir dann vor Gott und unserm Volk einmal bestehen?“ – so Nikolaus Groß im Juli 1944 in einem Gespräch mit dem Paderborner Diözesanpräses der KAB, Caspar Schulte.

Ein Leben geprägt von drei „Leidenschaften“: der Solidarität mit den Arbeitern, der Liebe zu seiner Familie und dem kompromisslosen Einsatz und Kampf gegen den Nationalsozialismus.

Bei seinem Deutschlandbesuch 1987 benennt Papst Johannes Paul II. Nikolaus Groß sowohl in seiner Ansprache vor Arbeitern und Bergleuten auf der Zeche Prosper – Haniel in Bottrop, als auch in seiner Predigt anlässlich der Eucharistiefeier im Parkstadion, Gelsenkirchen, als beispielhaften Glaubenszeugen, der sein Leben für den Glauben und seine Kirche gegeben hat.

Nikolaus Groß – Glaubenszeuge: Unser Nikolaus Groß?

Die biographischen Daten sagen eigentlich zu wenig aus über einen Mann, von dem der Essener Weihbischof Franz Grave einmal sagte: „...ein Mann am Galgen, aber nicht tot zu kriegen...“.

Mit der erfolgten Seligsprechung von Nikolaus Groß, dem Bergmann, christlichen Gewerkschafter, Journalisten, hauptamtlichen KAB – Mitarbeiter, Familienvater, Widerstandskämpfer und Märtyrer, wird die Lebensleistung eines Mannes anerkannt und als Vorbild für uns herausgestellt, der nach Monaten der Haft und der physischen und psychischen Folter von den Nazi – Schergen hingerichtet wurde.

Nikolaus Groß war überzeugter Christ. Er kannte das Wort und gehorchte dem Wort. In seiner „Glaubenslehre“ schrieb er 1943: „...zuerst steht die Forderung, dass man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen. Wenn von uns etwas verlangt wird, was gegen Gott oder den Glauben geht, dann dürfen wir nicht nur, sondern müssen den Gehorsam ablehnen. Denn allzeit steht Gottes Gebot höher als Menschengebot.“

Nikolaus Groß – Glaubenszeuge: Unser Nikolaus Groß?

„Auf Wiedersehen in einer besseren Welt!“, - dies waren die letzten Worte die Nikolaus Groß seiner Frau zurufen kann. Worte gesprochen im Vertrauen auf Gott und seine Fügung, - Worte gedacht als Trost und Vermächtnis an seine Familie, - Worte die uns auch heute in die Pflicht nehmen?

Angesichts des Todes fällt Nikolaus Groß nicht in Lethargie, - schwört er nicht seinen Lebensüberzeugungen ab, - fällt er nicht in Verzweifelung, sondern findet noch Worte, die seine Angehörigen trösten sollen. In seinem Abschiedsbrief an seine Familie schreibt er: „...fürchtet nicht, dass angesichts des Todes großer Sturm und Unruhe in mir seien...“.

Es gibt Menschen, die vor Angst sterben. Lebensangst und Todesangst sind immer wieder Zeichen der Zeit. Nikolaus Groß war anders. Viele Beispiele seiner Texte belegen, wie in Situationen äußerster Gefahr und Bedrohung, in Momenten tiefster Verlassenheit und Einsamkeit ungeahnte Kräfte freigesetzt wurden, die halfen, die Angst, die sicher auch Nikolaus Groß empfunden hat, zu überwinden.

Gerade auch viele Zeitgenossen von Nikolaus Groß waren Gefangene ihrer Ängste. Sie waren diesen Ängsten hilflos ausgeliefert und damit der Hoffnungslosigkeit preisgegeben. Sie hatten nichts woran sie glauben wollten, wofür sie kämpfen wollten. Nicht auffallen, nicht anecken, nicht unnötig auf sich aufmerksam machen, lautete die Devise. Nur damals?

Nikolaus Groß – Glaubenszeuge: Unser Nikolaus Groß?

Nikolaus Groß war Mensch. Er war nicht Übermensch oder Held. Der Prozessbeobachter der SS schreibt in seinem Bericht über den Prozess gegen Nikolaus Groß vor dem Volksgerichtshof, eines Sondergerichts für politische Verfahren: „... Groß gab seine Tat offen zu, behauptete allerdings, als Nichtakademiker sich über deren Tragweite nicht klar geworden zu sein. Doch konnte ihn das nicht retten.“ Er schwamm mit im Verrat, muss folglich auch darin ertrinken ( Freisler )“. Bescheiden im Wesen, bei der Urteilsverkündung dem Weinen nahe.“

Nikolaus Groß wusste in diesem Moment, dem Moment der Urteilsverkündung, was auf ihn zukommen würde. Vielleicht dachte er auch in diesem Moment, dem Moment der Urteilsverkündung, an seine Frau Elisabeth und seine sieben Kinder, an Klaus und Berny, an Marianne und Elisabeth, an Alexander, Bernhard und Leni. In der Zeit von 1920 bis 1940 werden dem Ehepaar Groß sieben Kinder geboren. Es ist die Zeit der wirtschaftlichen Rezession, der hohen Arbeitslosigkeit, der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten, des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges – eine Zeit also vielfältiger persönlicher Lebensbedrohungen und Schrecken. In dieser Zeit sieben Kindern das Leben zu schenken heißt: Ja zur Zukunft, Ja zur Hoffnung, Ja zum Leben zu sagen und zu leben.

Nikolaus Groß – Glaubenszeuge: Unser Nikolaus Groß?

Nikolaus Groß war mutiger Bekenner in einer Zeit der Unterdrückung und Tyrannei und er besaß die innere Freiheit und Tapferkeit, sich dem auflösenden Zeitgeist entgegen zu stellen. Er lebte getragen von seinem Glauben, seinen Überzeugungen, seiner Familie und seiner KAB. Und er bezahlte mit seinem Leben. In seinem konsequenten Einsatz gegen das menschenverachtende und verbrecherische Nazi – Regime war Nikolaus Groß „Überzeugungstäter“.

Die Idee für die Nikolaus Groß lebte, arbeitete, kämpfte und starb war die Idee einer neuen, gerechten und christlich – sozialen Gesellschaft. Die Wurzeln dieser neuen Gesellschaft sollten aus dem Glauben und der christlichen Sozialverkündigung erwachsen und von einem neuen Typus von Arbeiter getragen werden.

Die „Waffe“ des Widerstandes von Nikolaus Groß war das Wort und die „Feder“, - war die Bildungsarbeit.

In Reden bei unterschiedlichen Gelegenheiten und in Artikeln der Westdeutschen Arbeiter Zeitung und der Ketteler – Wacht nimmt er zur Rolle und Bedeutung der Bildungsarbeit Stellung: „Wir müssen unsere geistige, seelische und religiöse Bildungsarbeit fortführen, verbreitern und vertiefen. Heute ist der Kampf um die Arbeiterschaft mehr denn je ein Kampf um jede Arbeiterseele.“

Männer wie Nikolaus Groß, Bernhard Letterhaus oder Prälat Otto Müller, aber auch Gottfried Könzgen, verstanden ihren Glauben immer auch als Auftrag. Als Auftrag, Missstände und Ungerechtigkeiten beim Namen zu nennen. Sie alle suchten keine Nischen in der Gesellschaft um sich bequem zurückzulegen, unbeteiligter Zuschauer zu sein.

Ihre Methode war die Methode der KAB: sehen, urteilen und handeln! Sie nutzten die Instrumente und Vorraussetzungen die ihnen die KAB bot, um für eine bessere, eine gerechtere Welt zu streiten.

Nikolaus Groß – Glaubenszeuge: Unser Nikolaus Groß?

Nikolaus Groß ist nicht nur eine historische Persönlichkeit. Vielmehr gilt was Weihbischof Grave sagte: „...ein Mann am Galgen, aber nicht tot zu kriegen...“.

Nikolaus Groß lebt, wenn wir uns heute an seinem Handeln, an seinem Beispiel orientieren. Im Gebet um die Seligsprechung heißt es: Er war „...ein unbestechlicher Zeuge für Wahrheit und Gerechtigkeit und in hohem Verantwortungsbewusstsein hat er den teuflischen Mächten seiner Zeit widerstanden...“.

Sehen – urteilen – handeln: Auch heute, 56 Jahre nach dem gewaltsamen Tod von Nikolaus Groß, sind wir alle, Frauen und Männer in der KAB, Frauen und Männer in der Kirche und ihren Organisationen und Institutionen herausgefordert, unbestechliche Zeugen für Wahrheit und Gerechtigkeit zu sein, zu bleiben und vielleicht auch zu werden.

Denn auch heute werden, wie damals in den Anfängen, Unwahrheiten über die vermeintlichen Verursacher von Arbeitslosigkeit, sozialen Ungerechtigkeiten und Missständen verbreitet, - werden Menschen „gebrandmarkt“ und ausgegrenzt. Politische Rattenfänger treiben ihr Unwesen in Deutschland, in Europa und weltweit.

Nikolaus Groß – Glaubenszeuge: Unser Nikolaus Groß!

Nikolaus Groß lebt, wenn wir diesen politischen Rattenfängern, wenn wir diesen geistigen Brandstiftern unser und sein Bild vom Menschen gegenüber stellen und für die Würde jedes Menschen eintreten egal woher er oder sie kommt, woran er oder sie glaubt.

Nikolaus Groß lebt, wenn wir in Bildungsarbeit und politischer Aktion strukturelle Ursachen von Benachteiligungen und Missständen aufdecken und benennen und wenn wir uns für Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit einsetzen.

Nikolaus Groß lebt, wird unser Nikolaus Groß, wenn wir uns seinem Erbe verpflichtet fühlen und ihn auch zum Maßstab unseres Handelns heute machen.

Nikolaus Groß – Glaubenszeuge: Unser Nikolaus Groß!

Nikolaus Groß war nicht „von gestern“ und sich an ihn zu erinnern, ihn zum Vorbild und zum Hoffnungszeichen zu machen, ist „kein Halleluja für den Schnee von gestern“. Nikolaus Groß war eine besondere Persönlichkeit seiner Zeit, auf dessen Hilfe und Fürsprache wir als christliche, als katholische Arbeitnehmer -bewegungen bauen können und dürfen.

„Unser“ Nikolaus Groß ist aktuell!

„Unser“ Nikolaus Groß ist Erbe aber vor allem Auftrag und Hoffnung für uns persönlich und unseren Verband.

Wolfgang Heinberg
Diözesanbildungsreferent